Zollikofen, 15. November 2022 – Europaweit absolviert in keinem anderen Land ein so hoher Anteil an Jugendlichen eine duale Berufsbildung wie in der Schweiz. Dieser Sonderweg ist angesichts des raschen Wandels von Arbeitsmarkt und Gesellschaft herausfordernd. Neue Kompetenzen sind gefragt. Forschende der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung EHB plädieren im neuen Trendbericht dafür, die Durchlässigkeit zwischen Berufs- und Allgemeinbildung zu optimieren und die Weiterbildungskompetenzen von Berufslernenden zu fördern.
Die Schweiz geht mit ihrem Berufsbildungssystem in Europa zunehmend einen Sonderweg und unterscheidet sich immer deutlicher auch von ihren Nachbarländern Deutschland und Österreich. Nirgendwo sonst ist die duale Berufsbildung so stark geblieben und die Trennung zwischen beruflicher und akademischer Bildung so klar, wie der neue Trendbericht des Schweizerischen Observatoriums für die Berufsbildung OBS EHBaufzeigt. Das bietet Vorteile, bringt aber auch Herausforderungen mit sich.
Zu den Stärken der Schweizer Berufsbildung zählen bis heute die hohe Praxis- und Arbeitsmarktnähe und die tiefe Jugendarbeitslosigkeit. Rund 60 Prozent der Jugendlichen absolvieren eine duale Berufsbildung – so viele wie in keinem anderen europäischen Land. 91 Prozent der Jugendlichen haben zudem in der Schweiz mit 25 Jahren einen Abschluss auf der Sekundarstufe II, ein im internationalen Vergleich sehr hoher Anteil.
Allgemeinbildung gewinnt an Bedeutung
Dennoch ist es nötig, auf technologische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen zu reagieren. Im Zentrum steht dabei die Frage nach dem idealen Verhältnis von Berufs- und Allgemeinbildung. Sie stellt sich, wenn es um den Entscheid zwischen einemgymnasialen/allgemeinbildenden Weg oder einem berufsbildenden Weg geht. Und sie stellt sich ebenso innerhalb der Berufsbildung, wo manche Berufslehren doppelt so hohe schulische Anteile vorsehen als andere. Zudem ist die Berufsmaturität (BM) je nach Beruf und Kanton sehr unterschiedlich verbreitet.
Die Anforderungen steigen
Der strukturelle Wandel der Berufswelt führt dazu, dass das lebenslange Lernen in schulischen und betrieblichen Kontexten noch wichtiger wird. Die Fähigkeit, sich an neue berufliche Gegebenheiten anpassen zu können, gewinnt an Bedeutung. Der Wandel zeigt sich auch darin, dass es mehr Lernende in dualen Berufslehren mit einem höheren Schulanteil gibt. Steigende Berufsfachschulanteile in der dualen Grundbildung führen aber auch zu einem Zielkonflikt: Gehen Lernende mehr zur Schule, fehlen sie in den Unternehmen, wodurch sich das betrieblicheKosten-Nutzen-Verhältnis verschlechtert.
Die EHB-Forschenden sprechen sich für eine offene Debatte über die Zukunft und das Optimierungspotenzial des schweizerischen Bildungssystems aus. Insbesondere auch über dessen faktische Durchlässigkeit, die sich noch erhöhen liesse, wie ein Blick in Nachbarländer zeigt. Dabei gilt es auch über zusätzliche Bildungsangebote auf der Sekundarstufe II nachzudenken, die Jugendlichen eine Alternative bieten, wenn sie in der beruflichen Grundbildung nicht reüssiert haben.
Der neue Trendbericht «Spannungsfelder in der Berufsbildung international und in der Schweiz – Entwicklungen, Herausforderungen, Potenziale» ist verfügbar unter: www.ehb.swiss/forschung/obs/themen-und-trends/spannungsfelder-der-berufsbildung-international-schweiz
- Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.